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Vaterschaftsurlaub: eine Win-Win-Win-Situation für Familien, Unternehmen und die Gesellschaft

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Die Forschung zeigt eindeutig: ein auf beide Elternteile verteilter Elternurlaub ist fast ein Allheilmittel gegen Ungleichheiten in der Beteiligung von Eltern an Betreuungs- und Erwerbsarbeit. Vaterschaftsurlaub ist also gut für alle. Es gibt jedoch wichtige «Dos and Don’ts», die es bei der Einführung des Elternurlaubs für alle Eltern zu beachten gilt, damit möglichst alle Vorteile ausgeschöpft werden können.  

Per 1. April hat Alliance F zusammen mit einer überparteilichen Allianz die Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative lanciert, welche die heutige Mutter- und Vaterschaftsurlaubspolitik in der Schweiz ersetzen soll. Mit ihrer Initiative „Starke Gesellschaft und Wirtschaft dank Elternurlaub (Familienurlaubs-Initiative)“ fordern sie, dass in der Schweiz ein Elternurlaub von 18 Wochen für beide Elternteile nach der Geburt des Kindes eingeführt wird. 

Es überrascht nicht, dass die Reaktionen von grosser Begeisterung bis hin zu grosser Skepsis reichen. Die Befürworter:innen hoffen, dass die Initiative zu einer Angleichung der Geschlechterrollen in den Familien und in der Gesellschaft insgesamt führen wird, während durch die heutige Politik des Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaubs Stereotypen verfestigt werden, so Dominik Elser, der Geschäftsführer der Initiative. Alliance F betont unter anderem die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit des Kindes und dessen Bindung zum Vater. 

Am anderen Ende des Spektrums: Durch die Angleichung des Elternurlaubs werte die Initiative die körperliche Belastung (und das mögliche Trauma) von Schwangerschaft und Geburt für den weiblichen Körper ab, so die Parlamentarierin Katharina Prelicz-Huber. Andere betonen, dass die Initiative stillenden Müttern nicht gerecht wird und, dass die traditionellen Geschlechterrollen ohnehin zu tief verankert sind, als dass sich durch die Initiative etwas ändern könne. Einige befürchten negative Auswirkungen speziell für KMU, andere, wie der Schweizerische Gewerbeverband, erwarten negative Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft

Dass beim Thema Elternzeit die Emotionen hochkochen, ist nur allzu verständlich: Es ist ein Thema, bei dem das Politische von Natur aus sehr persönlich ist und umgekehrt. Bei sehr persönlichen Themen kann es schwierig sein, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen, und als professionelle Forscherin wende ich mich in solchen Momenten an die Forschung. Wie wirkt sich eine paritätisch aufgeteilte Elternzeit (wie in der Initiative vorgeschlagen) auf die (Un-)Gleichstellung der Geschlechter bei bezahlter und unbezahlter Arbeit aus? Und welche Rahmenbedingungen sind gemäss Forschung notwendig, um die Elternzeit erfolgsversprechend zu gestalten? 

Vaterschaftsurlaub führt zu mehr Chancengerechtigkeit bei der Arbeit 

Seit den 1960er Jahren hat sich die bezahlte Arbeit durch den Eintritt von Frauen und Müttern in den Arbeitsmarkt grundlegend verändert. Bei den Männern und Vätern hat sich jedoch kein ähnlicher Wandel vollzogen, wenn es um (unbezahlte) Betreuungsarbeit geht. Welche Rolle kann die Elternzeit bei der Überbrückung dieser Kluft spielen? 

Die Forschung zeigt, dass „die Geburt eines Kindes bei heterosexuellen Paaren häufig eine ungleiche Aufteilung der Erwerbs- und Betreuungsarbeit verstärkt“. Stellen Sie sich vor, dass die Mutter in den ersten Lebensmonaten oder -jahren des Lebens des Kindes der alleinige Elternteil zu Hause ist, während der Vater (oder der zweite Elternteil) wie gewohnt weiterarbeitet. In diesem Fall bestimmt die Mutter den gesamten Tagesablauf und weiss, wann und wie das Kind isst, schläft und gerne spielt. Sie weiss am besten, wie sie das Kind beruhigen kann. Sie weiss, wann der nächste Kinderarzttermin ansteht und, wann der Familie die Babynahrung ausgehen könnte. Die Familie gewöhnt sich daran, dass sie den Löwenanteil der Betreuungsarbeit leistet und zugleich den grössten Teil der «mental load» trägt. 

Der Vaterschaftsurlaub hingegen ermöglicht den Vätern, den Grundstein für eine gleichmässige Verteilung der Betreuungsarbeit zu legen (z.B. die Kinder regelmässig zur Kita zu bringen oder abzuholen). Patnaik fand heraus, dass schon wenige Wochen «reservierter» Elternzeit für Väter die Beteiligung der Väter an der Betreuungsarbeit um 250% erhöhten, und dass diese Effekte weit über die Zeit nach der Geburt hinaus andauern. Der positive Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter und einer gleichmässigeren Aufteilung der Hausarbeit wird durch eine Vielzahl empirischer Studien bestätigt

Der Vaterschaftsurlaub ist ein sehr wirksames Mittel und langfristig erfolgreich, wenn es darum geht, Paare für eine gerechtere Aufteilung der Betreuungsarbeit zu rüsten und beiden Elternteilen eine befriedigende berufliche Laufbahn zu ermöglichen, da er eine Dynamik fernab der traditionellen Geschlechterrollen des männlichen Ernährers und der weiblichen Betreuungsperson anstösst. Wenn Väter in grossem Umfang Elternzeit in Anspruch nehmen, fördert dies die Karrieren von Frauen. Bacheron analysierte Daten aus der Arbeitskräfteerhebung der Europäischen Union, um die Auswirkungen von Vaterschaftsurlaub auf die Beschäftigung von Müttern in zehn Ländern zu untersuchen, und stellte fest, dass die Inanspruchnahme von Vaterschaftsurlaub die Beschäftigungsquote von Müttern um bis zu 17% erhöht. 

Aus der Sicht der Arbeitgebenden macht dies Sinn: Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Führungsposition neu besetzen und haben zwei Kandidat:innen in der engeren Auswahl, einen Mann und eine Frau, beide Anfang 30. Ganz rational könnten Sie durchaus zum Schluss kommen, dass es ratsamer ist, den Mann einzustellen: Schliesslich könnte die Frau schwanger werden, in Mutterschaftsurlaub gehen und ihren Beschäftigungsgrad reduzieren. Tatsächlich zeigen unsere eigenen Daten, die auf den Personaldaten von 371'000 Arbeitnehmern in der Schweiz basieren, dass Männer mit 30 Jahren fast doppelt so häufig in Führungspositionen eingestellt werden wie gleichaltrige Frauen. Eine paritätisch aufgeteilte Elternzeit macht die «Spielregeln» für alle gleich – und damit fairer.  

Besonders erwähnenswert: Normen der Geschlechtergerechtigkeit, die durch eine faire Elternzeit gefördert werden, bleiben über die Generationen hinweg erhalten! Petts und Knoester stellen fest, dass Kinder, deren Väter nach der Geburt mindestens zwei Wochen Vaterschaftsurlaub genommen haben, sich ihren Vätern auch neun Jahre später noch näher fühlen als Kinder, deren Väter keinen Urlaub genommen haben. Die positiven Effekte des Vaterschaftsurlaubs sind also nachhaltig. Ebenso finden Farré und Co-Autor:innen überzeugende, quantitative Hinweise dafür, dass Kinder, deren Väter Anspruch auf Vaterschaftsurlaub hatten, im Alter von 12 Jahren eine egalitärere Einstellung zu Geschlechterrollen haben und eine gleichberechtigte Beteiligung von Müttern und Vätern am Arbeitsmarkt und im Haushalt stärker befürworten. 

Man könnte versucht sein zu denken: Nur weil Väter einen Anspruch auf Elternzeit haben, heisst das noch lange nicht, dass sie diesen auch beziehen, und dass folglich all diese positiven Effekte eine reine Übertreibung sind. Die Schweiz ist noch nicht bereit für ein Fifty-Fifty-Betreuungssplitting. Aber die Politik setzt Anreize und kann mit der Zeit einen sozialen und normativen Wandel herbeiführen. Schon die Möglichkeit eines Vaterschaftsurlaubs signalisiert, dass die Übernahme einer gleichberechtigten Betreuungsrolle gesellschaftlich akzeptiert ist. Tatsächlich ist in allen Ländern, in denen der Vaterschaftsurlaub ausgeweitet wurde, auch die Inanspruchnahme deutlich gestiegen! 

Wie man Elternzeit richtig umsetzt 

Wie bereits erwähnt, ist Elternzeit praktisch ein Allheilmittel gegen die ungleiche Verteilung von Betreuungs- und Erwerbsarbeit auf Frauen und Männer. Allerdings gibt es dabei einiges zu beachten. Was sind laut Forschung wichtige „Dos and Don'ts“, wenn es um faire Elternzeitregelungen geht?  

  1. Reservieren Sie einen festen Teil der Elternzeit für die Väter (oder Eltern, die keine Kinder bekommen): In einigen Ländern (z.B. in Deutschland) ist der Vaterschaftsurlaub in den allgemeinen Anspruch auf Elternzeit integriert, so dass es den Eltern überlassen bleibt, wie sie ihn aufteilen. In Deutschland führt dies dazu, dass Mütter durchschnittlich 15.5 Monate Elternzeit nehmen, Väter hingegen nur 3.4. Um die Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs durch die Väter zu maximieren, ist eine obligatorische Inanspruchnahme die effizienteste (aber politisch nicht haltbare) Lösung. Die zweitbeste Lösung: Reservieren Sie einen Teil der Elternzeit für Väter, anstatt den Eltern die Wahl zu lassen, wie sie ihn unter sich aufteilen. Da erhöht Studien zufolge die Inanspruchnahme des Urlaubs durch Väter sehr effektiv.
  2. Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub müssen ähnlich lang sein: Ein längerer Mutterschaftsurlaub ist mit langfristigen Ungleichheiten zwischen den Eltern in Bezug auf ihre berufliche Laufbahn und ihre Beteiligung am Familienleben verbunden, insbesondere, wenn die Dauer des Vaterschaftsurlaubes deutlich kürzer ist. Daher ist es bei der Gestaltung des Elternurlaubs wichtig, eine ähnliche Dauer für beide Elternteile festzulegen. 
  3. Unterstützung durch Arbeitgebende erhöht die Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter erheblich: Wenn Väter negative berufliche Konsequenzen befürchten, nehmen sie seltener (längere) Elternzeit in Anspruch. Dies ist sowohl naheliegend als auch durch verschiedene empirische Studien eindeutig belegt. Väter im öffentlichen Dienst nehmen häufiger Elternzeit als Väter in der Privatwirtschaft, Männer in grösseren Unternehmen nehmen öfter Elternzeit in Anspruch als Männer in kleineren Betrieben. Väter mit Führungsverantwortung nehmen seltener Elternzeit. Männer, die in frauendominierten Bereichen (Erziehung, Krankenpflege usw.) arbeiten, nehmen eher den gesamten Vaterschaftsurlaub in Anspruch als Männer, die in männerdominierten Berufen wie dem Bankwesen tätig sind. 
    Der Arbeitsplatz spielt also eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung von Vätern bei der Inanspruchnahme von Elternzeit und sollte alles tun, um zu signalisieren, dass er Väter bei der Übernahme von Betreuungsaufgaben unterstützt. Ein besonders wirksames Mittel ist die Sichtbarmachung von Vätern, insbesondere von Vätern in Führungspositionen, die ihre Elternzeit voll beziehen. Zu guter Letzt ist es aber auch wichtig, dass der Staat die notwendige Unterstützung (finanziell, administrativ und logistisch) bereitstellt, damit sich Unternehmen aller Grössen und Branchen den Vaterschaftsurlaub leisten können. 

Das Beste zum Schluss: Positive Veränderungen sind möglich. Studien zeigen klar, dass eine gut durchdachte Politik das Verhalten ändern und den Kreislauf der Ungleichheit durchbrechen kann, wie wir es am Beispiel der Länder gesehen haben, die eine paritätisch aufgeteilte Elternzeit eingeführt haben. Jetzt liegt es an der Schweizer Gesellschaft zu entscheiden, ob sie bereit ist, diesen Schritt zu tun. 

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