Der Business Case für die Unterstützung der Familienplanung
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BlogbeitragDieser Beitrag ist auch in Englisch verfügbar.
In einem neuen Whitepaper, das in Zusammenarbeit mit Family Forward veröffentlicht wurde, haben wir uns ehrgeizige Ziele gesetzt: die aktuellen Hindernisse für Fruchtbarkeitsbehandlungen und Familienplanung in der Schweiz zu verstehen und umsetzbare Empfehlungen zu entwickeln. Eine klare Erkenntnis: Die sich abzeichnende demografische Krise wirkt sich direkt (und negativ) auf Arbeitgebende aus. Deshalb sollten sie Mitarbeitende bei der Familienplanung zu unterstützen - aber wie sollten sie dabei vorgehen?
Im Jahr 2024 verzeichnete die Schweiz die niedrigste Geburtenrate ihrer Geschichte: 1.3 Kinder pro Frau. Die Schweiz erlebt, was der Journalist Michael Ferber kürzlich einen „Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit“ nannte.
Sinkende Geburtenraten verschärfen den Fachkräftemangel
Was bedeutet das in der Praxis? Die Bevölkerung Westeuropas wird bis zum Jahr 2100 voraussichtlich um 12% zurückgehen. Die Schweiz ist bereits jetzt stark von der Zuwanderung abhängig, um den Geburtenrückgang „auszugleichen“ und damit den Wohlstand zu halten. Im Jahr 2029 wird die Zahl der Personen, die das Rentenalter erreichen, die Zahl der jungen Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, um mehr als 30'000 übersteigen. Dies verschärft den Fachkräftemangel: Bis 2040 werden rund 431'000 Personen auf dem Arbeitsmarkt fehlen, rund 8 Prozent der heutigen Erwerbsbevölkerung. Das ist ein Problem, das die Arbeitgebenden in der Schweiz direkt und schmerzhaft trifft.
Restriktive gesetzliche Rahmenbedingungen erschweren den Zugang zur Reproduktionsmedizin
Die Situation in der Schweiz ist besonders prekär; so ist die Geburtenrate in der EU mit 1.46 zwar ebenfalls tief, aber doch deutlich höher als hierzulande. Einige Gründe liegen in den restriktiven und diskriminierenden gesetzlichen Rahmenbedingungen: Die Schweiz ist eines der wenigen Länder in Europa, in dem Eizellenspenden immer noch nicht legal sind. Zudem müssen die Betroffen die Kosten z. B. für In-vitro-Fertilisation (IVF) selbst tragen. Sie werden nicht durch die obligatorische Krankenversicherung bezahlt: Drei IVF-Behandlungen kosten bis zu 55% des verfügbaren Jahreseinkommens eines Schweizer Haushalts. D. h. nur Betroffene mit hohem Einkommen können sich solche Behandlungen leisten. Viele sind gezwungen ins Ausland auszuweichen. Fehlende Unterstützungsmassnahmen für Familien (z. B. chancengerechter Elternurlaub, erschwingliche Kinderbetreuung) erschweren eine proaktive Familienplanung zusätzlich.
Gängige Arbeitsnormen verzögern die Familienplanung
Aber auch die Normen und Gesetze rund um die Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit in der Schweiz spielen eine Rolle bei der Familienplanung. In der Schweiz gehören die Erstgebärenden mit 31.2 Jahren zu den ältesten in Europa. Für karriereorientierte Frauen bestehen klare Anreize, erst später Kinder zu bekommen und zuerst wichtige Karriereschritte zu durchlaufen. Laut einer Umfrage des Bundesamts für Statistik erwarten 69% der Frauen mit Hochschulabschluss (und 40% der Männer), dass sich ein Kind negativ auf ihre Karriere auswirken wird.
Typische Karriereverläufe folgen einem klaren Zeitplan: Gemäss unserem eigenen Datensatz, der die anonymisierten Personaldaten von 370'000 Mitarbeitenden in 90 Schweizer Organisationen enthält, geht fast die Hälfte aller Beförderungen an Mitarbeitende zwischen 31 und 40 Jahren. Die Botschaft ist klar: Diese Jahre der „Family Primetime“ sind auch die Zeit, in der man seine berufliche Entwicklung vorantreiben muss.
Auch die Verteilung der unbezahlten Arbeit spielt mit: In 56% der Haushalte übernehmen Mütter den Löwinnenanteil der Betreuungsarbeit, gegenüber nur 3% der Väter. Nur 18% der Mütter mit Kindern bis 12 Jahren arbeiten Vollzeit, gegenüber 79% der Väter. Leider ist die Teilzeitarbeit in der Schweiz immer noch ein klarer Karrierekiller. Arbeitnehmer:innen, die weniger als 80% arbeiten, machen 12% aller Arbeitnehmenden aus, aber ihr Anteil an Beförderungen liegt bei nur 5%. Zudem wirkt sich die Denkweise, dass Frauen sich immer noch zwischen Karriere und Familie entscheiden müssen, negativ auf das frühe Kinderkriegen aus. Aus medizinischer Sicht wäre das aber sinnvoll.
Arbeitgeber können die Spielregeln ändern, um ihren Mitarbeitenden zu ermöglichen, berufliche Entwicklung, Karriere und Familie (vielleicht zu unterschiedlichen Lebenszeitpunkten) zu priorisieren. Wie?
- Erweitern Sie das Karrierefenster über die «Family Primetime» hinaus. Analysieren Sie, welche vielversprechenden Talente Sie verlieren, wenn Sie wichtige Karriereschritte auf Mitarbeitende in den 30ern beschränken!
- Unterstützen Sie chancengerechten Elternurlaub für alle Mitarbeiter:innen.
- Bieten Sie flexible, an Lebensphasen orientierte Karrierewege an, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Mitarbeiter:innen gerecht werden.
Mitarbeitende unterstützen, die mit Fruchtbarkeitsproblemen zu kämpfen haben
Nicht bei allen Menschen läuft die Familienplanung reibungslos. Bedenken Sie: 1 von 7 Paaren in der Schweiz kämpft mit Unfruchtbarkeit. Als Arbeitgeber:in denken Sie vielleicht, dass die Familienplanung Ihrer Mitarbeiter:innen Sie nichts angeht. Vielleicht doch mehr als Sie denken: Wenn Mitarbeitende, die mit Fruchtbarkeitsproblemen kämpfen, nicht unterstützt werden, hat dies negative Auswirkungen auf Leistung, Engagement und Mitarbeitendenbindung und es erhöht die Abwesenheiten und Arbeitsausfälle. Beispielsweise ergab eine Umfrage aus dem Vereinigten Königreich, dass 18% der Personen, die sich einer Fruchtbarkeitsbehandlung unterzogen, ihren Job wegen der Belastungen durch die Behandlung aufgaben. Mehr als ein Drittel gab an, dass sie von ihrem Arbeitgeber wenig oder gar keine Unterstützung erhielten. Es ist also im besten Interesse der Unternehmen, das Thema Fruchtbarkeit ernst zu nehmen.
Aber wie können Sie Ihre Mitarbeiter:innen unterstützen, die sich in einer so schmerzhaften und sehr persönlichen Situation befinden? Soweit uns bekannt ist, bieten nur zwei Unternehmen in der Schweiz finanzielle Leistungen bei Fruchtbarkeit an (z. B. Erstattung von Fruchtbarkeitsbehandlungen bis zu 40'000 CHF), und eine kleine Handvoll bietet andere Formen der Unterstützung an, wie z. B. Webinare zum Thema Fruchtbarkeit, Beratung oder Facharztbesuche. Während ihre Kolleg:innen, die Kinder haben (oder erwarten), zumindest ein gewisses Entgegenkommen erfahren, sind Mitarbeitende mit Fruchtbarkeitsproblemen von familienfördernden Massnahmen ausgeschlossen. Wir empfehlen folgende erste Schritte:
- Entwickeln Sie formelle Richtlinien für Familienplanung und Fertilitätsbehandlungen, damit die Mitarbeiter:innen wissen, welche Unterstützung zur Verfügung steht.
- Bieten Sie flexible Arbeitsmöglichkeiten an, die den tatsächlichen Bedürfnissen Ihrer Mitarbeiter:innen in dieser herausfordernden Phase entsprechen.
- Erwägen Sie, finanzielle und/oder beratende Unterstützung zum Thema.
Führungskräfte bei der Unterstützung unterstützen
Die vorgesetzte Person ist massgeblich für die Schaffung einer Vertrauenskultur und eines «sicheren Raumes» für das Team verantwortlich. Für Mitarbeitende mit akuten gesundheitlichen Problemen ist dies besonders relevant. Müssen Mitarbeiter:innen ihren Arbeitgebenden gegenüber offenlegen, wenn sie mit Fruchtbarkeitsproblem kämpfen? Natürlich nicht. Fehlgeburten und unerfüllter Kinderwunsch sind Tabuthemen, über die nur wenige Menschen sprechen, und das Stigma, das ihnen anhaftet, ist sogar stärker als bei Sex oder Menstruation.
Es wäre aber für alle Betroffenen von Vorteil, wenn die Arbeitskultur es zulassen würde, wenn man offen über Themen wie Familienplanung und Fruchtbarkeitsprobleme reden kann – ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Arbeitgebende können ihre Talente halten und unterstützen, und Betroffene fühlen sich in einer schwierigen persönlichen Situation unterstützt. Was können Sie tun?
- Definieren Sie klare Erwartungen, wie und in welchem Umfang Führungskräfte ihre Mitarbeitenden bei gesundheitlichen Themen unterstützen sollten.
- Schulen Sie Ihre Führungskräfte darin, sensible Gespräche zu führen (z. B. konstruktives Verhalten bei Offenlegung, gute Einzelgespräche führen).
- Stellen Sie Ihren Führungskräften Basiswissen über (Un-)Fruchtbarkeit und mögliche Behandlungen zur Verfügung.
- Bieten Sie den Mitarbeitenden Tools zur Entscheidungsfindung, ob und mit wem sie über ihre Fruchtbarkeitsprobleme reden möchten. Ein entsprechendes Tool wird derzeit vom Competence Center for Diversity, Disability and Inclusion (CCDI) der Universität St. Gallen entwickelt. Weitere Informationen finden sich auf folgender Website.
Natürlich ist es auch unabdinglich, dass der Staat den gesetzlichen Rahmen verbessert, um Normen rund um Arbeit zu ändern und Fruchtbarkeitsbehandlungen für alle zugänglich zu machen. Aber Arbeitgeber:innen sollten ihre Verantwortung ebenfalls wahrnehmen – auch weil es aus unternehmerischer Sicht aufgrund des Fachkräftemangels schlicht Sinn macht.
Lesen Sie das vollständige Whitepaper – mit Daten, Analysen und konkreten Empfehlungen für Unternehmen.